Zwischen Käfig und Hörsaal

13.01.2020

Bericht auf: rbb24

Die Berlinerin Anna Gaul  ist Junioren-Weltmeisterin im Mixed-Martial-Arts (MMA), einer Sportart mit einem zweifelhaften Ruf. Die smarte und höfliche Medizinstudentin mag nicht zum rauen Image des Kampfsports passen, verkörpert aber doch einen Teil von ihr. Von Philipp Büchner

Anna Gaul ist höflich, eloquent und gebildet, das fällt im Gespräch sofort auf. Zugleich gehört die 20-jährige Berlinerin zu den weltweit besten Kämpferinnen im Mixed-Martial-Arts (MMA), sprich: in einer Sportart, die viele für brutal und stumpf halten. Im Training tritt Gaul auch ganz anders auf als im Interview, geht explosiv und aggressiv nach vorne, prügelt – zumindest andeutungsweise – gezielt auf ihre Trainingspartnerin ein und setzt am Boden unerbittliche Armhebel an.

Irgendwie scheint diese Sportart nicht zur Medizinstudentin zu passen. „Ich kenne das, die meisten haben kräftige, tätowierte Männer im Kopf, die sich in der U-Bahn prügeln.“ So ging es ihr früher selbst. Gaul kommt aus der sanften asiatischen Kampfkunst Jiu Jitsu und als ihr Trainer ihr einst MMA vorschlug, war sie sicher: „Das mache ich nie im Leben!“

Weltmeisterin, Jugendtrainerin, Studentin

Gaul möchte Ärztin werden, studiert an der Charité Medizin. „Ich stehe früh auf und gehe bereits vor der Uni das erste Mal zum Training. Wenn ich frühe Kurse habe, trainiere ich in den Vorlesungspausen. An manchen Tagen fahre ich zwei- bis dreimal hin und her.“ Nebenbei gibt sie ihre Erfahrung an den Judo-Nachwuchs weiter, ihre jüngsten Schüler sind erst vier Jahre alt. Das zehrt besonders an den Kräften, wenn sie vor großen Turnieren bis zu sechs Wochen strenge Diät halten muss, um auf ihr Kampfgewicht zu kommen.

Seriöse Kämpfer leiden unter dem Schmuddelimage des MMA. Es gibt politische Extremisten, die sich in diesem Vollkontaktsport für den Straßenkampf härten, bei privaten Veranstaltungen kommt es sogar vor, dass Kämpfer verfassungsfeindliche Tätowierungen offen zur Schau tragen. Der deutsche Verbandspräsident Clemens Werner stellt klar: „Wir wollen mit diesen Leuten nichts zu tun haben und wir wollen ihnen auch diese Kompetenz nicht vermitteln.“

„Es geht um vernetztes Denken“

Im sauberen Amateursport trifft man zwielichtige Gestalten eher selten an. Bundestrainer Harry Werz hält die smarte Gaul für eine typische Vertreterin ihrer Kampfkunst: „Man muss eine gewisse Intelligenz mitbringen. Ich sage Anna immer: Es geht um vernetztes Denken. Das ist wie beim Schach, wo es drei bis vier Optionen gibt.“

Vermutlich schreckt das schlechte Image Sponsoren ab, Anna Gaul sucht derzeit händeringend nach Unterstützern. Mit dem MMA verdient sie kein Geld, muss teilweise sogar Reisen zu den Wettkämpfen selbst finanzieren. Auch ihrer Erfolge im Strohgewicht (bis 52 Kg) helfen bislang nicht: Im vergangenen Jahr hat sie bei den Juniorinnen erst den EM- und später sogar den WM-Titel geholt, obwohl sie erst im Alter von 18 Jahren zum MMA gekommen ist.

Einen Vorteil durch das Medizinstudium hat Anna Gaul nach eigenen Angaben nicht, auch wenn ihr das oft unterstellt wird. „Die Leute sagen: ‚Anna, Du kennst doch die Punkte.‘ Aber die kennen die anderen ja auch. Und man muss die auch erstmal treffen.“

Sendung: ARD Mittagsmagazin, 16.12.2019, 13:00 Uhr